Wie gut bereitet Dich die Ausbildung auf die Selbstständigkeit als PhysiotherapeutIn vor?
Ein Sprung ins kalte Wasser?! In unserer heutigen Folge geht es um die Physiotherapie Ausbildung. Julian und Christian werfen einen Blick zurück auf ihre Studienzeit. Wie gut wirst Du wirklich auf die Selbständigkeit als PhysiotherapeutIn vorbereitet? Reicht die Grundausbildung aus oder gibt es Lücken im System (die Du schleunigst schließen solltest)?
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An welcher Fachhochschule habt ihr studiert?
Christian: Ich habe 2006 an der Fachhochschule Krems gestartet. Es war recht spannend damals, da zu dieser Zeit die Umstellung von der Akademie zur Fachhochschule stattfand. Wir waren der erste Studiengang. Es war sehr vieles Ungewiss und auch vom Lehrplan vieles unklar. Dennoch habe ich die Studienzeit grundlegend positiv in Erinnerung. Wir waren eine kleine Gruppe – ich glaub‘ 24 Studierende – und haben uns den Spirit und alles Neue geteilt.
Julian: Ich hatte das große Glück auch an die FH Krems zu kommen, zu der ich immer wollte. Ich habe 2007 gestartet, also ein Jahr nach Christian. Die Studienzeit habe ich sehr gut in Erinnerung und die Struktur war tatsächlich im Aufbau – auch bei mir. Die Atmosphäre war sehr familiär mit 28 Studierenden. In der Gruppe gab es einen großen Zusammenhalt und wir konnten das gemeinsame Lernen gut organisieren.
Christian:
Da die Studiengänge so klein waren, haben wir uns mit den anderen Jahrgängen vernetzt. Es war einfach eine coole Zeit, weil sich alle gekannt haben.
Welche Spezialisierungen gab es im Studium? Und wofür habt ihr euch entschieden?
Christian: Die „großen“ Fächer waren natürlich im Vordergrund: Orthopädie, Neurologie, Unfallchirurgie, innere Medizin, Chirurgie und Intensivmedizin. Diese Bereiche hatte man als Grundfächer und im Praktikum. Im sechsten Semester hat es Vertiefungen in drei Richtungen gegeben: Geriatrie oder Psychiatrie, Neurologie oder Pädiatrie und Pulmologie oder Kardiologie. Bei den Vertiefungsfächern habe ich mich dann – meiner Meinung nach – für die „Exoten“ entschieden: Psychiatrie, Pädiatrie und Kardiologie. Ich wollte diese Bereiche einfach ‚Mal sehen und mich beruflich relativ breit aufstellen.
Julian: Ich find’s ganz spannend, dass ich von den Wahlfächern genau die Gegenfächer gewählt habe: Nämlich Geriatrie, Neurologie und Pulmologie. Während des Studiums hatten die Spezialisierungen noch keinen hohen Stellenwert. Es war einfach interessant, viele verschiedene Fächer und die unterschiedlichen Herangehensweisen an PatientInnen kennen zu lernen. Meine eigentlichen Spezialisierungen sind an meinem ersten Arbeitsplatz entstanden. Dort hatte ich gute Fortbildungsmöglichkeiten. Das gibt es in dieser umfangreichen Form heute leider nicht mehr.
Christian: Die absolute Spezialisierung ist in den drei Jahren Ausbildung zu früh. Mir war es zB wichtig, dass ich im letzten Jahr in ein Angestelltenverhältnis komme. Das ist bei mir zufällig die Orthopädie gewesen. Ein Jahr später bin ich dann in die Neurologie gewechselt.
Welche Inhalte kamen eurer Meinung nach im Studium zu kurz?
Julian: Es ist schwer zu sagen,… Als Student hatte ich das Gefühl, von einem jungen und motivierten LektorInnen-Team unterrichtet zu werden. Sie waren wissenstechnisch auf dem neuesten Stand und haben versucht, uns dieses Wissen zu vermitteln. Die Hauptfächer waren gut abgebildet. Ich habe damals meinen ersten Mentor, der selbst orthopädisch manueller Therapeut war – so wie es damals noch geheißen hat – kennengelernt. Das hat mein Interesse an der Orthopädie wachsen lassen.
Christian: Bei mir ist das schwierig zu sagen. In dieser jungen Aufbruchstimmung war es nicht so einfach, einen roten Faden für die Ausbildung zu finden. Meiner Meinung nach sind einige Lehrinhalte auf der Strecke geblieben, weil sie noch nicht genau wussten, wie sie es vermitteln sollen. Es war deutlich weniger Vorlesungszeit bzw. Präsenzunterricht im Vergleich zur Akademie. Die Unterrichtsmonate haben sich von 11 auf 8 Monate reduziert. Im Nachhinein gesehen war es etwas überfordernd für die LektorInnen, den Fokus richtig zu setzen. Ich habe allerdings von BerufskollegInnen gehört, dass es mit jedem Jahr deutlich flüssiger geworden ist. Mittlerweile kriegen sie es extrem gut auf die Reihe.
Wie viel Zeit habt ihr wöchentlich ungefähr mit Lernen verbracht?
Julian: Das Lernen der Theorie war sehr zeitintensiv. Genau kann ich es nicht beziffern. Es war daneben aber trotzdem noch genug Zeit für das Studentenleben. Christian und ich haben uns nicht beim Lernen kennengelernt (lacht).
Christian: In absoluten Stunden kann ich es leider auch unmöglich sagen. In den Prüfungswochen – da kann ich mich noch recht gut erinnern – war kaum Freizeit da. Man hatte seine Vorlesungszeit und Abends haben wir in Kleingruppen gelernt bzw. sind alles in der Praxis durchgegangen. Das war für mich sehr wertvoll. Im Vordergrund stand immer die Praxis. Dennoch haben wir versucht, die Theorie auch mit einfließen zu lassen.
Wie viele Praktika musstet ihr absolvieren? Bereiten einen diese gut auf’s Berufsleben vor?
Christian: Im vierten und fünften Semester hatten wir unsere Kernpraktika. Das ging insgesamt über 30 Wochen. Die Hauptfächer Orthopädie, Neurologie, Unfallchirurgie, innere Medizin, Chirurgie und Intensivmedizin wurden damit abgedeckt. Im sechsten Semester gab es dann noch sieben Wochen vertiefende Praktika.
Für mich war das schon sehr spannend, da es der erste Kontakte mit PatientInnen war.
In den ersten drei Semestern hört man viel Theorie. Man übt auch sehr viel, allerdings immer an gesunden, meist jüngeren ProbandInnen. Ich kann mich noch erinnern, das erste Mal einen schlaffen Arm in der Hand zu halten. Das war schon prägend, weil ich da zum ersten Mal mit der Realität konfrontiert wurde.
Wir haben uns die Praktika damals noch selbst organisiert. Ich habe zwei Kliniken angeschrieben und habe dort gleich meine sechs Hauptfächer abdecken können. Im Nachhinein war’s ganz cool, da ich richtig gut in den Arbeitsalltag eingegliedert wurde als Praktikant. Ich hatte die Möglichkeit über mehrere Wochen einen Patienten mit zu behandeln. Ich habe sowohl die Fortschritte als auch die Rückschläge miterlebt.
Der Nachteil war, dass ich keine exotischen Arbeitsstellen gesehen habe. KollegInnen sind zB nach Australien oder Nepal gegangen. Sicher eine einzigartige Erfahrung, die ich leider nicht gemacht habe.
Julian: Ob die Praktika einen gut auf’s Berufsleben vorbereitet haben, würde ich mit „Ja“ beantworten. Ich hatte nie das Gefühl – egal welches Beschwerdebild bisher auf mich zukam – unsicher zu sein oder keinen Plan zu haben. Man hat im Studium viel Theorie gehört, sieht dann echte PatientInnen und kann Verknüpfungen zum Gelernten herstellen.
Hattet ihr auch negative Erfahrungen mit Praktika? Hattet ihr viele Absagen während der Suche?
Julian: Ja. Es gab Situationen, in denen ich keine richtige Physiotherapie gesehen habe. Es war ein Herangehen und Behandeln, das hätte gefühlt jede/r machen können, ohne vorher Physiotherapie zu studieren.
Christian: Ich habe auch negative Erfahrungen in einem Schnupperpraktikum machen müssen. Ähnlich wie bei Julian, hatte es für mich nichts mit Physiotherapie zu tun, was ich dort machen musste. Auch die Rahmenbedingungen waren schlicht und einfach nicht korrekt. Es gab einfach Institutionen, bei denen man gleich sagen konnte: „Nein, dort nie“.
Julian: Zur zweiten Frage: Ich hatte tatsächlich keine einzige Job-Absage. Alle, bei denen ich mich beworben hatte, haben mich auch genommen.
Christian: Ich hatte leider einige Absagen. Retrospektiv war es aber voll in Ordnung, so wie es gekommen ist. Es hat auf jeden Fall genug freie Stellen gegeben und es gibt auch nach wie vor viele offene Stellen.
Wenige Monate nach dem Abschluss bekommen 80 % der Studierenden bereits ein Jobangebot.
Wann hat sich bei euch das Interesse für eine bestimmte Fachrichtung herauskristallisiert?
Christian: Ich hatte vorher schon erwähnt, dass ich mich relativ breit aufstellen wollte, anstatt mich sofort in eine Richtung zu kanalisieren. Meine berufliche Station hat sich so ergeben – das war die Orthopädie. Orthopädie ist meiner Meinung nach ein Bereich, dem jeder Physio im Arbeitsalltag begegnen wird. Nach einem Jahr habe ich ein Jobangebot in der Neurologie im Landesklinikum bekommen. Die Neurologie ist, neben Orthopädie und Sport, für mich die drittwichtigste Vertiefung in der Physiotherapie.
Für mich passt es so wie es ist. Ich bin ja „der Dorf-Physio“ und bekomme wirklich alle Bereiche ‚rein. Es wäre blöd, wenn ich nur Spezialist in der Orthopädie wäre.
Julian: Das ist eine gute Überleitung, weil ich schon immer etwas weniger breit aufgestellt sein wollte, als Christian. Das Interesse für eine Fachrichtung hat sich bei mir schon während des Studium herauskristallisiert. Das war auch bei mir die Orthopädie. Komplett festlegen wollte ich mich während der Studienzeit jedoch noch nicht.
Wie gut wurdet ihr auf die Unternehmensführung vorbereitet?
Christian: Wir hatten im sechsten Semester zwei Wochenstunden Betriebswirtschaft und eine weitere Stunde Rechtswissenschaften im Gesundheitswesen. Für mich war das damals völlig ausreichend. Ich war nicht darauf ausgerichtet mich gleich selbstständig zu machen und einen Betrieb zu führen.
Aus heutiger Sicht, könnte das Unternehmertum gerne etwas üppiger aussehen, weil es einfach eine wichtige Thematik ist.
Julian: So habe ich es auch in Erinnerung. Ich weiß auch gar nicht, ob mehr Unterrichtsstunden überhaupt möglich gewesen wären. Die StudentInnen waren großteils eher am Fachlichen interessiert. BWL wurde nur gestreift. Während dem Master Studium konnte ich dieses Wissen vertiefen. Da wurde deutlich mehr auf das Thema Unternehmensführung eingegangen.
Olga: Habt ihr aus euren Praktika Wissen in diese Richtung mitnehmen können?
Christian: Nein, gar nicht. Meine Praktika waren alle im klinischen Bereich. Da war das gar kein Thema.
Olga: Wo hast Du Dein Wissen dann erlangt?
Christian: Ich habe bei KollegInnen nachgefragt, die bereits selbstständig waren. Julian hat mir damals zB sehr weitergeholfen.
Zum Abschluss: Welchen Rat könnt ihr allen Studierenden aus heutiger Sicht geben?
Julian: Auch wenn es für mich als Lektor nicht immer sehr angenehm ist, ist es wichtig, in jeder Situation Fragen zu stellen.
Es gibt keine dummen Fragen. Stattdessen gibt es immer etwas zu hinterfragen.
Wenn LektorInnen ein Thema verständlich erklären oder in ihren eigenen Worten wiedergeben können, dann ist es von der/dem LektorIn selbst verstanden worden. So profitieren Studierende am meisten davon. Ich gebe ehrlich zu, dass ich Fragen, die ich selbst nicht aus dem Stegreif beantworten kann, auch erstmal recherchieren muss. Das ist auch nicht weiter dramatisch.
Christian: Ein weiterer Rat, den ich euch noch geben kann:
Bleibt offen für verschiedenste Behandlungswege. Verschließt euch nicht und kanalisiert euch nicht zu stark.
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Alle Episoden
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