Die Kosten einer Physiotherapie Praxis: Was muss ich investieren und was kann ich verlangen?
Als selbstständige/r PhysiotherapeutIn möchte man natürlich wirtschaftlich arbeiten und schwarze Zahlen schreiben. Die Frage, der wir in dieser Folge nachgehen ist, mit welchen Kosten bzw. Investitionen man im Vorfeld rechnen muss und wie hoch der Preis für eine Behandlung angesetzt sein sollte.
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An welcher Stelle macht eine Kostenrechnung beim Start in die Selbstständigkeit überhaupt Sinn?
Julian: Noch vor dem Start in die Selbstständigkeit sollte man unbedingt die Fixkosten zusammenrechnen, seien es Anschaffungs- oder laufende Fixkosten. Aber nicht nur die Fixkosten sollten vorher abgeschätzt werden, sondern auch die Verbrauchsmaterialien. Das ist zB der Jahresbedarf an Desinfektionsmittel, Reinigungsmaterialien, Therabänder,…
An welche Kosten muss man noch denken? Und wie viel Startkapital braucht man schlussendlich, um eine eigene Praxis gründen zu können?
Julian: Man sollte sich zuerst Gedanken darüber machen, ob man die Räumlichkeiten mieten oder anschaffen möchte. Wenn es in Richtung Miete geht und man größere Projekte angehen möchte, dann sollte man mit einem Startkapital von 30.000-50.000 € rechnen. Wenn es um die Anschaffung geht, man in Richtung Praxisgemeinschaft denkt und Räumlichkeiten zur Verfügung stellen möchte, dann muss man auf jeden Fall mit höheren Summen rechnen. Was es in einer Einzelpraxis kostet, kann Christian sicherlich besser beantworten, da er das vor kurzem erfolgreich durchgezogen hat.
Christian: Bei mir war die Praxis in der Hausplanung mit dabei. Wenn ich den Anteil meiner Praxis Räumlichkeiten, im Vergleich zu den gesamten Baukosten ausrechne, dann sind es zirka 30.000 bis 45.000 € gewesen. Wenn man plant, ein separates Nebengebäude zu errichten, dann kommen weit höhere Summen zu einen zu.
Was außerdem berücksichtigt werden muss, ist die Anschaffung einer Therapieliege. Die braucht man als TherapeutIn unbedingt – das ist unser Werkzeug. Da gibt es Preise „von-bis“. Ein Therapeut wie ich, ist mit einer Liege um 2.000 € zufrieden. Bei Julian fängt’s eher bei 3.500 € an (lacht).
Olga: Reicht eine Liege?
Christian: Das kommt drauf an, wie viele Räume man hat. Pro Raum wäre eine Liege gut. Ich habe zB eine Therapieliege um 2.500 €, mit der komme ich super durch.
Julian:
Wichtig ist, sich vorher zu überlegen, wie man arbeitet. Für uns als ManualtherapeutInnen ist am relevantesten, dass die Liege elektrisch verstellbar ist, sodass wir die optimale Körperposition einnehmen können.
Olga: Welche weiteren Kosten sollten unbedingt beachtet werden?
Christian: Die Einrichtung: Von Büroplatz, Kasten, Regale, Hocker bis zur Sprossenwand, und Stepper. Auch da bewegen wir uns – je nach Qualität und Stil – irgendwo zwischen 1.500 € und 15.000 €. Man muss aber nicht gleich am Anfang alles anschaffen. Das ist etwas, das man sich auch im Laufe der Zeit erwirtschaften kann.
Ich selbst habe mit einer Therapieliege, Sprossenwand, ein paar wenigen Therapiematerialien, Sessel und einem kleinen Tisch begonnen und es hat super funktioniert. Natürlich fühle ich mich jetzt, wo alles endlich fertig ist, wesentlich wohler.
Julian: Als nächster Punkt können die laufenden Kosten genannt werden. Sei es jetzt die Miete oder Instandhaltung der Geräte und Räumlichkeiten. Dazu kommen noch Reinigungsmaterial und gegebenenfalls auch Reinigungspersonal, Telekommunikation, Internet und Versicherungen, die wir in einer früheren Folge schon besprochen hatten.
Christian: Weiters gibt es Kosten für ein Dokumentationsprogramm, das uns persönlich sehr wichtig ist, weswegen wir auch bei appointmed gelandet sind. Themen wie Datenschutz, Registrierkasse etc. gehören geklärt und appointmed liefert hier eine saubere Lösung.
Gab es auch versteckte Kosten, die ihr nicht von Anfang an eingeplant hattet? Macht es Sinn, sich einen Puffer anzulegen?
Christian: Versteckte Kosten gab es bei mir tatsächlich keine. Je besser man sich vorher überlegt, wie man arbeiten möchte bzw. welche PatientInnen man behandeln möchte, desto weniger Überraschungen wird es geben.
Julian:
Was allerdings Sinn macht, ist sich einen gewissen Puffer anzusparen und sich beispielsweise 50 % vom Umsatz auf die Seite zu legen.
Vor allem nach dem Start, bei dem man noch steuerfrei arbeitet, kommen Nachzahlungen und SVS Abgaben auf einen zu. Außerdem ist ein Puffer sinnvoll für weitere Investitionen oder damit man schlichtweg seine Erhaltungskosten decken kann.
Braucht man als selbstständige/r PhysiotherapeutIn einen Steuerberater?
Julian: Ich persönlich finde es unumgänglich aber es ist nicht unbedingt erforderlich. Ich hatte selbst das großes Glück, in ein funktionierendes System einsteigen zu können, in der Arztpraxis, in der ich mich eingemietet habe.
MMG Steuerberatung in Wien ist spezialisiert auf ÄrztInnen und PhysiotherapeutInnen. Sie waren eine große Stütze, da das Konstrukt von Steuern und Abgaben doch ein sehr komplexes ist. Wenn es darum geht, Einnahmen einzusparen oder Geld rückerstattet zu bekommen, dann ist eine helfende Hand von Vorteil.
Christian: Ich hatte zu Beginn noch keinen Steuerberater, da ich noch recht wenig auf eigene Rechnung gearbeitet habe. Ich denke, dass es tatsächlich auf den Umfang und die Art der Praxis ankommt, ob ein/e SteuerberaterIn notwendig ist oder nicht. Mittlerweile habe ich aber auch einen und bin auch recht froh darüber, da ich noch zwei weitere Standbeine mit dem Angestelltenverhältnis und dem Unterrichten an der Fachhochschule Krems habe.
Julian: Ich denke, man kann es einfach zusammenfassen: Wenn man mit der selbstständigen Arbeit anfängt, dann ist es eher relevant, eine Beratung gute zu suchen, statt eine permanente Betreuung zu haben. Wenn es dann läuft, dann sollte eine ständige Betreuung gesucht werden. Der Vorteil ist auch, dass die gesamte Kommunikation mit dem Finanzamt über die/den SteuerberaterIn läuft.
Wie berechnet man einen fairen Preis für seine Behandlungen? Nach welchen Kriterien sollte man sich dabei richten?
Julian: Grundsätzlich gibt es keine Empfehlungen oder Vorgaben, was die Preise betrifft. Ein angemessener Tarif für die Physiotherapie ist auf der einen Seite gebietsabhängig. Er richtet sich danach wo man tätig ist und welche Zielgruppe man schlussendlich ansprechen möchte. Auf der anderen Seite ist es für uns PhysiotherapeutInnen wichtig, dass unsere Qualifikationen fair honoriert werden. Das ist eine Gratwanderung.
Ich finde, dass gute Therapie leistbar bleiben sollte.
Aktuell gibt es bei der Rückerstattung der Behandlungskosten durch die Krankenkasse noch keine Differenzierung zwischen PhysiotherapeutInnen, die sich direkt nach der Ausbildung selbstständig gemacht haben und jenen, die jahrelange Weiterbildungen und Erfahrungen haben – also so genannte „advanced PhysiotherapeutInnen“ sind. Das ist schwierig, da ein höherer Tarif bei besser ausgebildeten TherapeutInnen letztendlich die PatientInnen trifft.
Christian: Ich denke, man sollte sich mit der Preisgestaltung grundsätzlich an den KollegInnen in der Region orientieren. Mit der Zeit gestaltet sich der Preis abhängig von der Nachfrage. Wenn die Nachfrage groß ist, habe ich sicherlich andere Möglichkeiten meinen Preis zu gestalten, als mit einer leeren Praxis.
Julian: Außerdem sollte man nicht versuchen, mit „dumping Preisen“ Fuß zu fassen. Qualität hat ihren Preis und das darf auch honoriert werden. TherapeutInnen sollten eher versuchen, ihre Qualität nach außen sichtbar zu machen.
Olga: Habt ihr Erfahrung, wie PatientInnen einen Preisanstieg aufnehmen?
Christian: Da gibt es sicherlich unterschiedliche Auffassungen. Die einen verstehen es, die anderen motzen ein bisschen. Aber grundsätzlich hat sich bei mir noch nie jemand beschwert. Wenn der Preis zu hoch war, dann hat sich die/der PatientIn ohnehin nicht mehr bei mir gemeldet (lacht).
Julian: Ich denke auch, dass PatientInnen gut mit einer Preisanpassung zurecht kommen. Alleine durch die Inflation wird alles etwas teurer. Wenn man sich da moderat mitbewegt und den Preisanstieg zB gleich an eine Weiterbildung oder an eine berufliche Qualifikationsveränderung koppelt, dann ist das auch PatientInnen erklärbar. Und jene, die die Qualität hinter der Therapie erkennen, sind auch bereit dafür zu bezahlen.
Wichtig ist auch, dass man in speziellen, sozial etwas schwierigen Fällen, den PatientInnen unter die Arme greift und beispielsweise einen Sozialtarif anbietet.
Welche Kosten für das eigene Gehalt sollte man einberechnen?
Julian: Das Gehalt in der Einzelpraxis könnte man als den Gewinn, der netto am Ende des Jahres übrig bleibt, definieren. Und der kann – getäuscht durch den Umsatz – am Ende des Jahres geringer sein als erwartet. Der Umsatz pro Stunde kann sehr hoch aussehen, aber nach Abzug der Ausgaben, die man in der Praxis hat (seien es Miete, Versicherung oder Instandhaltungskosten etc.) kann der netto Stundenlohn doch beträchtlich schrumpfen.
Christian: Man sollte eine Gegenüberstellung vom Jahresgehalt in einem Angestelltenverhältnis und dem tatsächlichen Jahresgewinn aus der Einzelpraxis machen. Dabei muss der Mehraufwand der Administration berücksichtigt werden. Zusätzlich hat man ein gewisses Risiko, bzw. mehr Risiko als in einem Angestelltenverhältnis, und da sollte als „Belohnung“ natürlich etwas mehr übrig bleiben.
Außerdem hat man kein 13. oder 14. Monatsgehalt, keinen Urlaubsanspruch und auch keinen Krankenstand – während die Fixkosten weiterlaufen. Hier sollte man vielleicht auch an eine Ausfallversicherung denken…
Julian: Wenn man das alles mit einbezieht und ausrechnet, dann ist der Unterschied zwischen Angestellten und Selbstständigen gar nicht so gravierend.
Jede Stunde, die man arbeitet, verdient man etwas. Wenn man nicht arbeitet, dann verdient man nichts. Das ist etwas, was man beachten muss.
Christian: Am besten führt man Buch darüber, wie viel man arbeitet und wie viel man schließlich an Umsatz bzw. Gewinn erwirtschaftet. Ich denke, wenn man das ein paar Wochen gewissenhaft aufzeichnet und hochrechnet, hat man einen ungefähren Plan, in welche Richtung es geht.
Wie bestimmt man seine Öffnungszeiten und wie viel muss man arbeiten, um schwarze Zahlen zu schreiben (Stichwort: Work-Life-Balance)?
Christian: Das muss jede/r, je nach Motivation und Ehrgeiz selbst entscheiden. Es kommt natürlich auch auf die Ausgaben an, die man hatte, um eine Praxis zu errichten. Es hat einen Vorteil, wenn ich nebenbei in einem Angestelltenverhältnis bin, dann relativiert sich das etwas.
Um eine funktionierende Praxis zu betreiben, sollte man die Öffnungszeiten so gestalten, dass man bei Bedarf bis zu drei Termine pro Woche zusätzlich vergeben kann. Das ist zB bei AkutpatientInnen notwendig, die unbedingt einen Terminen brauchen. Für solche Fälle sollte Platz sein. Man muss außerdem bedenken, ein Zeitfenster direkt am morgen und ein Zeitfenster später am Abend zu haben, für berufstätige Personen. Ich bringe meine akuten PatientInnen immer am Vormittag unter, da sie ohnehin krankgeschrieben sind.
Julian: Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass man in diesem Beruf reich wird. Es ist natürlich verlockend, für jede Stunde, die man arbeitet, auch bezahlt zu werden. Im Endeffekt geht dabei aber die Freizeit verloren und die ist meiner Ansicht nach unbezahlbar. Deshalb sollte es jede/r für sich selbst gestalten.
Im besten Fall sollten die Fixkosten gedeckt werden, alles darüber hinaus könnte man als Bonus für sich selbst betrachten. Wichtig ist auch, dass man sich ein administratives Zeitfenster für die Buchhaltung, für E-Mails oder Telefonate einplant.
Was die Work-Life Balance betrifft, gibt es eine aktuelle Umfrage, die unter PhysiotherapeutInnen erhoben wurde. Jene TherapeutInnen, die sowohl angestellt als auch selbstständig sind, haben die größte Differenz zwischen dem Wunsch der Work-Life-Balance und dem tatsächlichen Erreichen.
Olga: Wie sind denn eure Öffnungszeiten?
Christian: Ich habe am Montagabend, Mittwoch, Donnerstag und Freitag Vormittag geöffnet – da versuche ich meine AkutpatientInnen abzuarbeiten.
Julian: Bei mir ist das so, dass ich jede freie Stunde, die ich nicht im Angestelltenverhältnis verbringen mit PrivatpatientInnen fülle – aber nur bis zu einer gewissen Uhrzeit. Mir ist wichtig, dass ich rechtzeitig zu Hause bin und bei meinen zwei Kindern unterstützend tätig sein kann.
Zum Thema Hausbesuche: Kann sie jede/r PhysiotherapeutIn anbieten und sind sie eurer Meinung nach lukrativ?
Julian: Ja, es kann jede/r TherapeutIn Hausbesuche anbieten. Ob sie lukrativ sind sollte immer individuell abgeschätzt werden. Man muss unbedingt die Wegzeit und die Vorbereitungszeit bedenken.
Wenn Hausbesuche verordnet werden, dann bekommt man als TherapeutIn einen Zuschlag, den man selbst festlegt. Dieser wird mit der Verordnung abgegolten. Das bedeutet, dass PatientInnen einen größeren Anteil der Therapiekosten erstattet bekommen.
Christian: In gewissen Fachbereichen oder bei gewissen Beschwerdebildern können Hausbesuche sehr wertvoll sein. Vor allem im geriatrischen oder neurologischen Bereich ist das fast unumgänglich. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass ich immer wieder Anfragen von PatientInnen aus dem geriatrischen Bereich bekomme, die nicht mehr mobil sind bzw. es nur sehr schwer sein können.
Der Vorteil von Hausbesuchen ist, dass die PatientInnen in ihrer gewohnten Umgebung behandelt werden können.
Das heißt, dass es eine sehr funktionelle Therapie ist, weil man sich den Gegebenheiten vor Ort widmen und das Problem an der Wurzel bekämpfen kann.
Ein Nachteil ist sicherlich, dass man keine Therapieliege hat. Ich habe eine Zeit lang eine Massageliege zu Hausbesuchen mitgenommen aber das Herumzerren von diesem sperrigen Ding zahlt sich fast nicht aus. Mehr Sinn macht es, wenn man sich Möglichkeiten im Haus bzw. in der Wohnung der Betroffenen sucht.
Ein weiterer Nachteil ist die Wegzeit. Man braucht ein sehr gutes Zeitmanagement, um die Wegstrecke optimal zu gestalten. Wenn man einen Ausfall hat und nicht in der Nähe seines Standortes ist, dann zahlt das natürlich keiner. Wenn ich ‚mal einen Ausfall habe, dann bin ich zu Hause und habe Zeit für meine Familie, mich selbst oder nutze die Zeit für Administration.
Olga: Habt ihr beiden schon Hausbesuche angeboten?
Julian: Wir haben es beide gemacht. Ich mache es aktuell in seltenen Fällen immer noch. Christian beschränkt seine Hausbesuche auf das Gemeindegebiet, um die Wegstrecken zu verkürzen. Leider gibt es heutzutage einen Mangel an KollegInnen, die das anbieten.
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