Eine eigene Praxis oder in die Gemeinschaftspraxis: Was sind die Vor- und Nachteile?
Als PhysiotherapeutIn nach der Grundausbildung hat man rechtlich die Möglichkeit, sofort in die Selbstständigkeit zu starten. Nach ersten Überlegungen, in welche Fachrichtung es gehen kann, sollten auch die finanziellen Möglichkeiten genau überprüft werden. Ist es von Beginn an sinnvoll, sofort eine Einzelpraxis zu eröffnen? Oder solltest Du Dich erstmal in einer Gemeinschaftspraxis einmieten und Erfahrungen sammeln?
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Wie komme ich als PhysiotherapeutIn an eine eigene Praxis?
Julian: An seine eigene Praxis kommt man auf zwei Wegen:
- Die erste Möglichkeit ist die Gründung einer Praxis, in der man die Gegebenheiten selbst schaffen und auch das Inventar selbst finanzieren muss.
- Die zweite Möglichkeit ist der Kauf einer bestehenden Praxis, wenn zB ein/e KollegIn in Pension geht. In so einem Fall könnte man das Inventar und die räumlichen Gegebenheiten nutzen und den Patientenstamm übernehmen. Das ist vor allem zu Beginn der Freiberuflichkeit von Vorteil.
Was sind die Vorteile einer Einzelpraxis?
Christian: Für eine eigene Praxis spricht die vollständige Unabhängigkeit, sei es bei bei der Planung oder bei der Nutzung der Räumlichkeiten. Man sollte sich natürlich trotzdem an die Richtlinien und Empfehlungen der Physio Austria halten. Aber ansonsten kann man alles selbst einteilen, hat keine Doppelbelegung der Räumlichkeiten und kann seine Praxis nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten und ausstatten.
Julian: Der größte Vorteil der Einzelpraxis ist schlichtweg, dass man wenig bzw. gar keine Kompromisse eingehen muss.
Wie war es bei euch? Habt ihr eine Praxis gekauft, gegründet oder euch eingemietet?
Christian: Ich wurde damals von einem Kollegen angesprochen, ob ich in seine Gemeinschaftspraxis einsteigen möchte. Das war recht unkompliziert. Es wurde eine Umsatzbeteiligung pro Monat vereinbart und kein Fixum, weil ich nebenbei noch im Krankenhaus angestellt war bzw. immer noch bin. Ich habe also nur Miete bezahlt, wenn ich tatsächlich PatientInnen behandelt habe.
Ich hatte so gut wie keine Sorgen und musste keine großen Investitionen tätigen. Die Ausstattung haben wir zusammen mit dem Team übernommen, ansonsten hat er sich um alles gekümmert – von der Reinigung bis zu Instandhaltung.
Julian: Mein großes Glück war, dass ich in der Ordination meines Vater genug räumliche Möglichkeiten hatte, weil die Praxis relativ groß ist und er den PatientInnenstamm etwas verkleinert hat. Ich konnte die Räumlichkeiten zusammen mit meiner Schwester, die auch Physiotherapeutin ist, einrichten und das Inventar anschaffen.
Wir haben eine Miete vereinbart, die unabhängig vom Umsatz monatlich abzugeben war.
Christian: Seit dem letzten Jahr habe ich nun eine Einzelpraxis. Der Entschluss dazu kam beim Hausbau. Ich habe mir überlegt, dass ich im Kellergeschoss ca. 45 m2 betrieblich nutzen möchte. Ich habe damals schon Kontakt zum Berufsverband aufgenommen, um mich umfassend zu informieren.
Wie groß müssen die Räume sein? Brauche ich ein behindertengerechtes WC und einen barrierefreien Eingang? Das sind alles Fragen, die bei einer Praxisgründung auf einen zukommen.
Parkplätze waren damals auch ein Thema. Und so ist meine Praxis Stück für Stück gewachsen.
Olga: Wo – außer beim Berufsverband – hast Du Dich sonst noch informiert?
Christian: Bei Kolleginnen und Kollegen und vor allem bei Julian natürlich (lacht). Da es keine Seltenheit ist, dass KollegInnen in die Freiberuflichkeit gehen und funktionierende Einzelpraxen führen, gibt es für viele Fragen auch viele Ansprechpersonen.
Was ist eine Praxisgemeinschaft? Wie funktioniert sie und wo findet man die passende?
Julian: Im Prinzip ist das ein Zusammenschluss aus mehreren einzelnen Praxen in einem Gebäude, unter einem Dach. Das müssen nicht zwingend nur PhysiotherapeutInnen sein. Die Räume können von diversen Berufsangehörigen gemietet und eigenständig gestaltet werden.
Durch das selbstständige Ausstatten ergeben ist am Anfang höhere Kosten als bei der Gemeinschaftspraxis. Was bei beiden Varianten gleich ist, ist dass man selbst und ständig als TherapeutIn tätig ist.
Was unterscheidet eine Praxisgemeinschaft von einer Gemeinschaftspraxis?
Julian: Der Unterschied zur Gemeinschaftspraxis ist, dass die Räumlichkeiten inklusive Ausstattung zur Verfügung gestellt werden. Es gibt eine/n oder mehrere HauptmieterInnen bzw. BesitzerInnen der Praxis. Das können PhysiotherapeutInnen sein, müssen aber nicht. Meistens vereinbart man dann ein Fixum pro Tag, pro Halbtag, pro Stunde oder anteilhaft vom Monatsumsatz. Üblicherweise liegt dieses zwischen 20% und 25% – variiert aber nach örtlichen Gegebenheiten.
Vor allem für BerufsanfängerInnen mit wenigen PatientInnen ist so eine Vereinbarung sehr sinnvoll, da das Risiko relativ gering ist.
Sollten es über die Zeit mehr PatientInnen werden, dann ist es natürlich sinnvoll, wenn man das Fixum deckelt. Man kann dann sozusagen bis zu einem Maximum gehen, aber nicht darüber hinaus.
Wichtig zu wissen ist, dass das wirtschaftliche Risiko immer bei der/dem TherapeutIn bleibt. Es gibt kein Abhängigkeitsverhältnis zur/m VermieterIn. Es gibt keine Regeln oder Vereinbarungen, dass Urlaube angemeldet werden oder Krankenstände vertreten werden müssen. Ansonsten schrammt man an einem Angestelltenverhältnis.
Olga: Das heißt, KollegInnen dürfen mich in einer Praxisgemeinschaft nicht vertreten?
Christian: Doch – eine Vertretung zwischen PhysiotherapeutInnen ist durchaus möglich. Allerdings darf es dabei keine Verpflichtungen geben.
Wichtig ist, dass man seine PatientInnen vorher darüber informiert – gegebenenfalls auch schriftlich. Denn sobald ein/e PatientIn mit einer Überweisung in die Praxis kommt, geht man einen Behandlungsvertrag ein. Dieser soll natürlich erfüllt werden. Deshalb kann man nicht wahlweise den/die TherapeutIn wechseln. Das wäre sonst ähnlich einem Angestelltenverhältnis.
Julian: Auch die Abrechnung läuft in dem Fall pro TherapeutIn. Also die/der ErsatztherapeutIn kann ein eigenständiges Honor auf dieselbe Verordnung stellen und die Therapie weiterführen. Alternativ kann die Abrechnung auch komplett durch die/den ersten TherapeutIn erledigt werden.
Olga: Was sind weitere Vorteile einer Praxisgemeinschaft?
Christian:
Ein weiterer Vorteil ist, dass man AnsprechpartnerInnen bzw. KollegInnen hat, die man zu Pathologien oder administrativen Abläufen befragen kann.
In meiner alten Praxis war das immer relativ nett, weil wir uns einmal im Quartal zu einem Jour fixe getroffen haben, um uns abzustimmen. Das kann man mit Einzelpraxen natürlich auch machen, aber aus Erfahrung kann ich sagen, dass dies seltener passiert.
Außerdem wird der eigene Horizont erweitert. Meine KollegInnen waren damals in einem anderen Tätigkeitsbereich aktiv und haben mir den Visus etwas geöffnet und gezeigt, dass es mehr gibt, als nur das, was ich mache. Im Team sieht man einfach andere Zugänge zu einem Problem.
Olga: Gibt es eine/n HauptmieterIn in der Praxisgemeinschaft?
Julian: Nein, gibt es nicht. Es sind mehrere TherapeutInnen, die gemeinsam einen Raum mieten und anteilig nutzen. Es gibt auch keinen gemeinsamen Außenauftritt – also ein einheitliches Logo o.Ä. Jede/e TherapeutIn kann sich selbst gestalten und definieren. In der Gemeinschaftspraxis dagegen gibt es einen gemeinsamen Außenauftritt, auch wenn jede/r TherapeutIn das wirtschaftliche Risiko weiterhin selbst trägt.
Christian: Man kann eine Praxisgemeinschaft unter dem Deckmantel „Gesundheitshaus“ oder „Versorgungszentrum“ laufen lassen. Das ist eine zentrale Anlaufstelle für PatientInnen auf der Suche nach medizinischer Versorgung.
Julian: Ein weiterer Vorteil kann auch noch sein, dass es Angestellte gibt, die Administrativ tätig sind. Also zB ein Sekretariat, bei dem sich PatientInnen melden können.
Gab es Situationen, in denen ihr froh wart, in einer Praxisgemeinschaft zu arbeiten?
Christian: Damals war ich froh keine Fixkosten und dadurch auch kein Risiko zu haben. Wenn ich keine PatientInnen hatte, dann musste ich auch nichts für die Miete bezahlen.
Heute in der Einzelpraxis merke ich auch, dass man etwas kompetenter wirkt, wenn man mehr anbieten bzw. vielfältiger anbieten kann, da sich das Problem nicht immer nur auf physiotherapeutische Aspekte bezieht. In meiner damaligen Praxis hatten wir zB eine Masseurin und eine Ergotherapeutin. Es ist generell gut, wenn man diverser aufgestellt ist.
Auf der anderen Seite: Gab es auch Unstimmigkeiten, sodass ihr euch gewünscht hättet, in einer Einzelpraxis zu arbeiten?
Julian: Ja, ich teile mir mit einer Kollegin den Raum. Da müssen die Termine natürlich aufeinander abgestimmt sein. Wenn man nebenbei noch angestellt ist, dann ist das gar nicht so einfach, weil die eigenen Ressourcen knapp werden. Das ist aber auch schon der einzige Aspekt.
Christian:
Wir haben das eigentlich recht gut geregelt mit einem gemeinsamen Kalender. So war im Vorfeld klar, wer den Raum wann hat.
Wir hatten immer eine Woche Vorlaufzeit und wenn ich den Raum doch nicht gebraucht habe, dann habe ich ihn einfach rausgestrichen.
Eine etwas unangenehme Situation war für mich zB, dass die Ausstattung nicht ganz nach meinen Bedürfnissen vorhanden war. Mir haben gewisse Sachen gefehlt. So etwas spricht man natürlich an, aber die Umsetzung, bis das tatsächlich angeschafft wurde, ist etwas verzögert. Wenn ich mir in der Einzelpraxis etwas wünsche oder vorstelle, dann kauf‘ ich es mir und fertig.
Olga: Gab es bei euch schon ‚mal unabsichtliche Doppelbelegungen bzw. Doppelbuchungen?
Christian: Ja, natürlich ist das bei uns auch schon vorgekommen.
Julian: Aber, da habe ich zwei PatientInnen bei mir selbst eingeteilt (lacht).
Zum Abschluss: Habt ihr Tipps für unsere LeserInnen, wie man die Entscheidung für eine Einzel- oder Gemeinschaftspraxis am besten trifft?
Julian: Grundsätzlich geht es um die Selbsteinschätzung. Also wie man es sich selbst zutraut.
Unternehmerisch gedacht, müssen TherapeutInnen in einer Einzelpraxis von VisionärInnen und SpezialistInnen über AdministratorInnen bis hin zu tatsächlichen BehandlerInnen sämtliche Rollen in sich vereinen.
Man sollte sich bewusst sein, dass man mit 10 Einheiten an der/dem PatientIn nicht 10 x 45 Minuten Zeit zu arbeiten hat. Alles rund herum, sei es die Terminvereinbarung, Abrechnung, Buchhaltung etc. muss daneben auch erledigt werden. Das nimmt natürlich Zeit in Anspruch.
Olga: Das heißt, es würde sich lohnen, ab einer gewissen PatientInnenanzahl eine administrative Kraft einzustellen?
Julian: Ab einer gewissen Größe und Intensität oder wenn man eine/n zweiten TherapeutIn mit in die Räumlichkeiten nimmt und gemeinschaftlich die Praxis betreibt, ist es durchwegs interessant. Als EinzeltherapeutIn würde ich es nicht empfehlen. Das ist schon ein sehr großer Luxus.
Olga: In dem Fall hilft aber eine Praxissoftware, die auch Zeit spart, richtig?
Julian: Das ist richtig. appointmed eignet sich zB zur Dokumentation und zum Führen von Patientenakten perfekt. Es ist auch so, dass die Therapiezeit zur Dokumentation genutzt wird. Es ist per Definition so, dass die Dokumentationszeit Therapiezeit ist. Dagegen sind Termineinteilung, Anfragen beantworten o.Ä. Dinge, die man nicht in der Therapiezeit macht. Das sollte man sich zumindest im Hinterkopf halten.
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