Warum wir aufgehört haben appointmed zu vertreiben
In der Anfangszeit von appointmed hatten wir Null Erfahrung, wie man ein SaaS (Software as a Service) Produkt unter die Leute bringt. Der weit verbreitete Glaube „baue es und sie werden es kaufen“ war unsere ganze Verkaufsstrategie – warum denn auch nicht? So funktioniert es doch im Software Business, oder?
Da es so natürlich nicht funktioniert hat (welch eine Überraschung…), sprachen wir mit Freunden in anderen Software Start-Ups, beauftragten „BeraterInnen“ / „Verkaufs Ninjas“ / „Sales Experts“ und was weiß ich nicht alles… Alles an die Hoffnung geknüpft, das Wissen einzukaufen, das uns selbst fehlte.
Neues Personal muss her!
Unser ultimativer Fail in dieser Zeit war die Einstellung einer Vollzeit Verkaufskraft. Diese hatte in ihrem letzten Job ein Sales Team von 4 auf 50 Personen vergrößert, was genau nach dem klang, was wir brauchten. Nach nur ein paar Monaten mussten wir uns jedoch wieder von ihr trennen. Es wurde offensichtlich, dass sie perfekt für die Leitung großer Verkaufsteams geeignet war, jedoch die Arbeit an vorderster Front nicht zu ihren Kernkompetenzen gehörte. Das war eine der teuersten Lektionen, die wir lernen mussten:
Stelle die richtigen Leute, zur richtigen Zeit ein.
In den folgenden 3 Jahren haben wir so ziemlich alles ausprobiert, was das „Marketing & Sales 101“ hergibt. Von E-Mail Kampagnen und handgeschriebenen (!) Postwurfsendungen über das Teilnehmen an Branchen Veranstaltungen, das Schalten von bezahlter Werbung, telefonischer Kaltakquise bis hin zu persönlichen Besuchen in den Praxen unserer Zielgruppe – unangekündigt und via Google Maps geplant. Überall konnten wir eine Hand von KundInnen gewinnen aber nichts funktionierte so wirklich. Zumindest nicht in dem Maße, um unser junges Unternehmen (wirtschaftlich) am Leben zu halten.
Unser Produkt war gut, das wussten wir. Umso schmerzhafter war es zu sehen, dass sich scheinbar niemand dafür interessierte.
Schmerzhaft auch deshalb, weil wir alles ausprobiert hatten, was die hochgepriesene Verkaufsliteratur hergab. Dazu kam die Frustration Produkte zu sehen, die – objektiv betrachtet – von schlechterer Qualität waren als unser eigenes. Trotzdem schienen sie sich zu verkaufen, wie die sprichwörtlichen „warmen Semmeln“.
Uns ging das Geld aus und wir waren mehr als ein Mal kurz davor, aufzugeben und das Projekt als gescheitert zu betrachten.
Wir brauchten einen neuen Plan. Und zwar schnell.
Wir waren an dem Punkt angelangt, wo wir aufhörten, auf Andere zu hören. Viel gab es ohnehin nicht mehr zu verlieren. Uns ging das Geld für Experimente aus. Wir mussten mit den Ressourcen und der Zeit auskommen, die wir vier (Bernhard, Christopher, Mario & Ich) aufbringen konnten. Mehr Personal und fremdes Kapital waren keine Optionen.
Schluss mit traditioneller Kundenakquise, Key Account Managern, Cold-Calls und E-Mail Kampagnen. Der erste Schritt war die Umstrukturierung unserer Website. Wir optimierten sie für eine handvoll Keywords, um nur die vielversprechendsten, potenziellen KundeInnen auf unsere Seite aufmerksam zu machen. Danach bündelten wir alle Ressourcen, um jene „Leads“ bestmöglich zu unterstützen, die sich für die 14-tägige Testphase angemeldet hatten. Sie sollten sich rundum bestens betreut fühlen.
Mario verbrachte fast ein halbes Jahr damit, Artikel für ein umfassendes Help-Center zu schreiben. Jedes Detail der Anwendung, wie auch grundlegende Workflows (zB „Wie erstelle ich eine Sammelrechnung?“) sind darin beschrieben. Rückblickend betrachtet er das als das erste Buch, das er je geschrieben hat. Zusätzlich hat er einen sorgfältig überarbeiteten Onboarding Prozess für neue appointmed NutzerInnen aufgesetzt, um sie ab dem ersten Tag ihrer Testphase bestmöglich zu begleiten.
Der nächste Schritt war ein weiterer, wichtiger Teil des Fundaments für den späteren Erfolg von appointmed.
Wir bündelten die gesamte Kommunikation mit unseren Kunden in einem einzigen Service – dem Support Chat.
Egal ob unsere Kunden über den Chat, direkt in der Anwendung oder auf der Website oder via E-Mail mit uns in Kontakt treten wollten… Alle Anfragen landeten fortan in diesem Support Zentrum. So können wir innerhalb von Minuten (teilweise Sekunden) auf die Anliegen unserer KundInnen reagieren.
Der Moment, an dem klar war: Wir machen das Richtige!
Uns wurde relativ schnell klar, dass unsere (potenziellen) KundInnen solch einen Service nicht gewohnt waren. Bei klassischen Software Anbietern wartet man Tage – wenn nicht sogar Wochen – auf eine Antwort. Bei manchen kann der/die KundIn froh sein, wenn überhaupt eine Antwort kommt.
„Das könnte tatsächlich funktionieren“, sagte ich damals zu mir. Langsam stieg die Anzahl neuer Test Accounts. Die NutzerInnen waren beeindruckt von unserer Reaktionszeit und der Einfachheit, mit uns in Kontakt zu treten. Kein Vergleich mit den pseudoprofessionellen „Vertriebsprofis“, die nur ihre monatliche Quote erreichen müssen. Nein – einfach eine direkte und aufrichtige Kommunikation und die Ambition, eine ehrliche Beziehung mit jeder/m einzelner/n KundIn aufzubauen.
Das sprach sich herum.
Word of mouth!
Neue KundInnen unterhielten sich mit ihren KollegInnen über die erfrischende Art und Weise, wie wir mit ihnen kommunizierten und – fast als Nebenprodukt ihrer Erzählungen – wie gut das Programm zu ihren täglichen Aufgaben passt. Endlich kam Schwung in unser Wachstum.
Der Gesundheitsmarkt ist hart umkämpft und das Suchvolumen für Praxissoftware ist relativ gering. Trotzdem verzeichnen wir inzwischen rund 50 neue Test Account Anmeldungen pro Woche und eine Abschlussrate im zweistelligen Prozentbereich.
Nachdem wir unseren Fokus von „Verkaufen“ auf „ehrlich Kümmern“ verlagert hatten, verdoppelte sich das finanzielle Wachstum von Jahr zu Jahr. Gleichzeitig reduzierten sich unsere Kosten für die Neukundenakquise fast auf Null (abgesehen von den Gehältern unserer MitarbeiterInnen natürlich).
Wenn ich anfangs – zugegeben, etwas reißerisch – gesagt habe, dass wir den Vertrieb für appointmed eingestellt haben, so war das nicht ganz richtig. Wir nennen ihn einfach Kundenbetreuung.